Schumann! Genial?! Ein Tanzabend, der Fragen aufwirft

Schumann! Eine Aufforderung? Eine Frage? Normalerweise wird das Ausrufezeichen vom Verfasser genutzt, um der Angabe davor eine größere Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Aufmerksamkeit wurde den Ur-Aufführungen im Rahmen des Tanzabends von Sergei Vanaev und Giovanni Napoli auf jeden Fall zuteil. Nachdem sich in der Spielzeit 2020/2023 das Musiktheater im Rahmen der Schumann Open um den berühmten Sohn der Stadt Zwickau, Robert Schumann und dessen ebenfalls talentierte Ehefrau, die Pianistin Clara Schumann, drehte, war es nun in dieser Spielzeit das Ballett, welches sich Schumann verschrieben hat.

Ein Abend also nur für eingefleischte Schumann-Fans und Kenner? Absolut nicht, denn die Tatsache, dass dem genialen Komponisten, Dichter und Musikjournalisten, ein TANZ-Abend zugedacht wurde, ist schon besonders.

Der musikalische Rahmen des Tanzabends wurde durch Schumann-Kompositionen gesteckt: die Choreografen wählten sich die Stücke Davidsbündlertänze, Carnaval und Papillons aus, welches meisterhaft und virtuos vom Pianisten Peter Foggitt am Klavier dargeboten wurden. Ganz pur und trotzdem oder gerade deswegen faszinierend intensiv.

Ballettdirektor Sergei Vanaev wählte für seinen (den ersten) Teil des Tanzabends schnell aufeinanderfolgende, kurze Charakterstücke von Robert Schumann, die er durch abwechslungsreiche, fast hektisch aneinandergereihte Segmente choreografisch illustriert. Diese Schnipsel stehen teilweise für Erlebnisse, Begegnungen aus Schumanns Leben, sind zum Teil auch einfach inspiriert durch die Assoziationen, die die Klavierstücke bei Vanaev hervorgerufen haben. Vanaev betonte im Vorfeld, dass der Anspruch dieses Tanzabends nicht darin besteht, eine bestimmte Geschichte zu erzählen oder gar die Biografie Schumanns zu vertanzen. Stattdessen ist der Zuschauer aufgefordert, sich seine eigenen Gedanken zu machen, für die es kein Richtig oder Falsch geben kann. Eine Interpretationshilfe allerdings wird angeboten: eine Audioeinspielung, in der es um den Kampf des Genies mit sich selbst geht. Der Künstler, das Genie als ständig Getriebener, der produzieren MUSS und sich dabei dauernd hinterfragt, an sich zweifelt und nie genug zu sein scheint. Hier steht es dem Zuschauer frei, die Parallelen zu Schumann oder eventuell sich selbst zu ziehen. Denn wer hat noch nie an sich gezweifelt?

Schumann ist als bedeutender Vertreter der Romantik bekannt dafür, tiefe, verletzliche Einblicke in Gefühlswelten zu geben und dabei deren Wechselhaftigkeit und Flüchtigkeit zu betonen. Schumanns Leben selbst war stets von Herausforderungen, Anstrengungen und Widersprüchen geprägt, was sich auch in seiner Musik widerspiegelt. Dieses breite Spektrum in der Musik und die Auswahl der Miniaturen ermöglicht es den Tänzerinnen und Tänzern, sich ebenso vielschichtig, abwechslungsreich, unvorhersehbar und verschiedenartig zu präsentieren.

Vanaev offenbart durch diese Umsetzung, wie facettenreich, divers und multitalentiert seine Company ist. Professionell meistern sie die schnellen Wechsel und das immense Tempo einiger Stücke, tanzen in ständig wechselnden Konstellationen, transportieren die gegensätzlichen Stimmungen und sind dabei phänomenal synchron mit der Klaviermusik. Oftmals ist die Geschwindigkeit so hoch, dass es dem Zuschauer schwerfällt, mit dem Tempo der Bewegungen der Tänzer mitzuhalten. Der rasante Szenenwechsel führt teilweise dazu, dass der Zuschauer aus seiner Spannung herausgerissen und wieder neu eingesogen wird, fast hektisch folgt das nächste Stück. Auch wenn dies auf den ersten Blick zufällig und wenig stringent erscheint, kommt einem doch der Gedanke, dass gerade diese Zerstückelung, die Zerrissenheit, die Verschiedenheit und die Schnelligkeit der Auftritte absolut treffend den Seelenspiegel und Gemütszustand Robert Schumanns oder – sind wir ehrlich- vielleicht teilweise von uns selbst?- darstellen könnten.

Nach der Pause erwartet den Zuschauer ein auf den ersten Blick völlig kontrastierendes Motiv. Fast unheilschwanger hört man ein synthetisches Rauschen im Hintergrund, ein einzelner Ton wird immer wieder angeschlagen. Faszinierend und unheimlich. Eine Regung, mit der das Leben beginnt und mit deren Ende es aufhört. In seiner Choreografie lässt sich Gastchoreograph Giovanni Napoli von diesem Prozess zwischen Schöpfung und Vergänglichkeit leiten und setzt ihn choreografisch zum Klavierzyklus papillons op. 2 von Robert Schumann um. In dunkelroten Hosen und den dazu passenden transparenten Oberteilen werden die 17 Tänzerinnen und Tänzer zu einem komplexen, eigenständigen Organismus. Es entstehen Gebilde, während die Körper im Wechsel von Nähe und Abstand, dicht an dicht, wellenartig, fließend oder auch abrupt, in alle Dimensionen streben und wieder zusammenkommen, als würde dem gemeinsam gebildeten Wesen Leben eingehaucht, es würde es ein- und ausatmen, sich weiterentwickeln. Der italienische Jung-Choreograf lässt die Tänzerinnen und Tänzer eine Einheit bilden, die mehr ist als die Summe ihrer Komponenten und ein Eigenleben entfaltet und zeichnet mit den Körpern der Tänzerinnen und Tänzer Bilder, die einem Schmetterling, einer Blüte, Wellen ähneln und eines gemeinsam haben: sie entstehen, verwandeln sich, entwickeln ein Eigenleben, zerfallen und vergehen.

Während im ersten Teil des Tanzabends die Individualität große Rolle spielt, stellt Napoli auf Universalität ab. Ihm geht es um nichts Weniger als um Gefühle, Gedanken, Ideen, mit denen man sich als Künstler, als schöpferisches Genie der Welt offenbart und preisgibt und damit verletzlich und angreifbar macht. Die transparenten, roten Kostüme, die keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machen, verdeutlichen, dass es Napoli um die Essenz der Dinge geht, das Rohe und Unverdorbene, Authentische. Verstärkt durch Licht- und Schatteneffekte entsteht der Eindruck, dass dieses Pulsieren, dieses Leben, nicht nur schimmernd und irisierend, sondern auch riskant sein kann, weil man sich angreifbar und verletzlich macht, also quasi nackt ist. Und bei allen Offenbarungen, Metamorphosen, Verbindungen mit anderen am Ende allein ist.

Auch ohne Schumanns Werk und Leben zu kennen, es bleibt die Faszination des professionellen Zusammenspiels von Klavier und Tanz, die Dynamik und Agilität der Tänzer, die rasante Jagd durch die Miniaturen, die Begeisterung über die Dreidimensionalität der Skulpturen sowie der Kraft der Synchronität der Gruppe.

Auch wenn die Intensität des Abends bei einigen Besuchern Fragezeichen zurücklässt: Was gibt es denn Besseres als ein Stück, das zum Nachdenken und Diskutieren einlädt?

Also: Schumann?

Keine Frage: Schumann!


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