Das Theater Plauen-Zwickau zeichnet in dieser Spielzeit auch aus, dass wieder Experimente gewagt werden. Also nicht nur Altbewährtes und Publikumsicheres dargeboten wird. Neben den Monodramen, die sehr sehenswert und dicht und intim sind, gehört u.a. auch das Stück „Jelisaweta Bam“ dazu.
Warum? Neu ist dieses Stück nicht. Es rührt aus der Feder des russischen Dichters Daniil Charms (1905-1942), der als kreativer Aktivist seiner Zeit dadurch bekannt wurde, dass er sich dem „Quatsch“ verschrieb. Als solchen mag es ein Zuschauer eventuell auch wahrnehmen, der die Einführung in das Stück verpasst hat und der mit dem Künstler nicht vertraut ist. Denn das Stück, das aus 19 Akten besteht, die mehr oder weniger zusammenhanglos miteinander verbunden sind, sind ein kafkaeskes Varieté des Absurden, eine Kakofonie, Nonsens, fragmentarisch, gruselig, unsinnig, erschütternd. Warum braucht man so etwas?
Bitte nutzen Sie die Stückeinführung, wenn Sie zum Autor des Stücks noch nicht viel wissen, denn mit dieser Kenntnis sitzen Sie nicht nur lachend und prustend im Publikum und erfreuen sich möglicherweise an der Skurrilität des Stücks, sondern sind gleichermaßen ergriffen und betroffen.
Charms verarbeitete die Probleme seiner Zeit in seinen Texten: Er lebte in einem Epochenwechsel vom Zarismus zum Kommunismus bzw. Stalinismus. Kunst war eher Konformität. Künstler mussten überlegen, was erwünscht und systemrelevant war, sich also einschränken und rezipientenkonform kreieren. Was ein Widerspruch an sich ist. Charms war ein kreativer Aktivist, der die Aufgabe der Kunst darin sah, unbequem und widerspenstig zu sein und eben dieser Konformität zu widersprechen. Und zwar in der Art, dass es weh tut, dass es so offensichtlich war, dass es hier darum ging, eben NICHT dazu zu gehören. Charms Texte sind sein Weg der Auflehnung gegen das politisch verordnete Kulturestablishment. Er sprengt den Status Quo und will inspirieren, bestehende Gedankenkonstrukte, die einengen, zu hinterfragen und zu überwinden. Das geschieht mit Buchstabenklauberei, Singsang, der zusammenhanglos scheint, szenischen Darstellungen, Musikstücken, Gesangsfetzen. Monologen ohne Pointe, Reimen ohne Sinn.
Aber Obacht. Hinter der Zusammenhangslosigkeit verbergen sich die Erfahrungen und Seelenqualen, die Charms durchleiden musste. Ständig begegnet uns das Motiv der Verhaftung, des Hungers, der Bedrohung durch den Rechtsstaat, die Ohnmacht gegenüber Polizeigewalt, Eskalation von Nebensächlichkeiten, Tod, Isolation. Charms schrieb bereits früh Texte und war nie an deren Verdaulichkeit interessiert. Charms gehörte zu einer künstlerischen Aufbruchsbewegung (OBERIU), Vereinigung der Realen Kunst“, die 1930 als staatsfeindlich verboten wurde. Charms selbst wurde wegen „feindlicher Tätigkeit in der Kinderliteratur“ verhaftet und in Verbannung geschickt. Sein Leben war von Verfolgung, Entbehrung und Hunger gekennzeichnet. Seine Werk konnte er, bis auf einige Kinderbücher, nicht veröffentlichen. 1941 wurde er denunziert und wegen „Verbreitung defaitistischer Propaganda“ verhaftet und angeklagt. Er verhungerte im Februar 1942 während der Hungerblockade von Leningrad , nachdem er als unzurechnungsfähig zur Zwangsheilung in die Gefängnispsychiatrie eingewiesen wurde. Ein Freund rettete seine Manuskripte vor der sowjetischen Geheimpolizei in einem Koffer.
Charms ist ein Systemsprenger, was die Sprache betrifft. Er zeigt, dass nicht seine Stücke, sondern die Realität abstrus und absurd sind.
Lachen Sie bei diesem Stück, aber bitte, betrachten Sie es vielleicht auch aus dem Blickwinkel Charms, der die Befreiung vom Traditionellen, von Unterdrückung durch Althergebrachtes oder auch durch eine Übermacht, propagiert hat. Insbesondere in Hinblick auf den Tod Alexej Nawalnys, der am Tag der Vorstellung bekannt wurde, hat die Aktualität und Brisanz dieses Stücks noch mehr an Bedeutung gewonnen.
Jelisaweta Bam
von Daniil Charms, aus dem Russischen von Lothar Trolle
Regie: Carlos Manuel, Musikalische Leitung: Sebastian Undisz, Bühne und Kostüme: Annabel von Berlichingen, Dramaturgie: Isabel Stahl.
Mit: Elisa Ender, Mariia Chechel, Sebastian Undisz, Friedrich Steinlein, Hanif Idris.
Premiere am 1. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause