Kabale und Liebe: Ist Schiller eigentlich noch zeitgemäß?

Das bürgerliche Trauerspiel ist auf Bühnen und in der Schule präsent geblieben wie kaum ein anderes Stück von Schiller, vor 239 Jahren uraufgeführt. Es thematisiert die Liebesbeziehung zwischen Personen unterschiedlichen Standes, welche tragisch endet und schiebt die Schuld nicht nur dem feudalabsolutistischen Herrscher zu, sondern auch der Unfähigkeit der Unterdrückten, diese menschengemachte Ständeordnung zu hinterfragen und aufzubrechen.

So ein Stück steht unter anderem deswegen auf dem Spielplan im Theater Plauen-Zwickau, Spielzeit 2023/2024, weil es von Lehrkräften zu gewünscht war, wobei selbst der Regisseur Brian Völkner hinterfragt, ob Schiller als white old man heute eigentlich noch tragbar ist.

Bereits am Anfang des Stückes wird klar, dass der Zuschauer hier nicht nur Rezipient ist. Er wird gefordert und beteiligt: Schillers Alter Ego stürmt herein (kraftvoll und energisch: Philipp Rosenthal) und animiert die Darsteller, aus den ebenso berühmt wie berüchtigten gelben Reklamheftchen den Originaltext von Schiller darzubieten. Bald schon verlässt die Schauspieler die Lust und im Publikum werden Freiwillige gefunden, die Regieanweisungen, die Millerin, Luise usw. deklamieren dürfen. Dies gelingt unterschiedlich virtuos und erzürnt oder verzückt Schiller entsprechend. Der altertümliche Sprachgebrauch, der sperrige Satzbau und die umständlichen Monologe setzen den jungen Lesern zu, aber sie schlagen sich wacker und erhalten dafür Applaus und Anerkennung. Schließlich jedoch kapitulieren nicht nur die Schauspieler, sondern auch Schiller- und das Stück an sich beginnt.

Die Bühne besteht aus einem Videocreen, einer Stuhlreihe, die den Präsidentensaal darstellt und einem Zimmer, in dem Familie Miller wohnt. Der Salon, in dem Lady Milford logiert, befindet sich außerhalb der Bühne. Über den Videoscreen werden die Sequenzen eingespielt, die sich im Haus der Millers oder der Lady Milford ereignen. Eine tolle Idee! Einerseits entsteht dadurch Abwechslung und der Zuschauer wird multimedial gefordert. Anderseits wird durch die Aufnahme in der engen Wohnung der Millers klar, welche Schranken der Familie auferlegt sind bzw. wie kleinbürgerlich und engstirnig deren Welt ist, während der Präsident großzügig Platz nehmen darf und Raum in Anspruch nimmt.

Die Kostüme ähneln der eines Harlekins: eine Unterscheidung der Kostüme ist nur durch die Größe und Farbe des Kragens sowie Friseur und Kopfbedeckung möglich. Damit wird einerseits ein Wechsel der Rollen während des Spiels möglich, andererseits haben diese Harlekinkostüme Symbolcharakter. Sie zeigen, dass alle Figuren auch eine Rolle spielen. Nicht nur im Sinne, dass die Schauspieler eine oder mehrere Rollen spielen, sondern auch, dass die einzelnen dargestellten Personen ihnen zugewiesene Rollen innerhalb der Gesellschaft übernehmen und in dieser Hinsicht auch mehr oder weniger Schauspieler sind. So ist Luise nicht nur das junge, unschuldige Mädchen aus bürgerlichen Verhältnissen, sondern gleichzeitig die Tochter des Miller, die Geliebte des adligen Ferdinands. Ferdinand ist nicht nur ein junger Mann, der Geliebte Luises und aufstrebender Major, er ist gleichzeitig Sohn des Präsidenten. Jener, der Präsident ist übrigens der einzige, der ein eigenes Kostüm tragen darf,  er, der mit schwarzem Anzug, hochdekoriert und mit Sonnenbrille gönnerhaft und überlegen scheint.  

Die fünf Schauspieler schlüpfen in verschiedene Rollen. Dabei sind v.a. die Doppelrolle zwischen Wurm, dem Sekretär (herrlich kriecherisch) und Lady Milford (gespielt von Carlotta Aenne Bauer) sowie Luises Mutter und Ferdinand (Philipp Rosenthal) hervorzuheben.

Wie aktuell ist dieses Stück heute noch? Kabale und Liebe prangert die Probleme der Ständegesellschaft und der absolutistischen Herrschaft an. Als Stürmer und Dränger macht Schiller deutlich, wie sich der Adel auf Kosten seiner Bürger bereichert und diese ihm dabei hilflos ausgeliefert sind. Schiller als Vertreter der Aufklärung stellt die Würde und Freiheit in den Mittelpunkt. Das Drama führt uns vor Augen, wie schwer es damals war, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zu erwirken. Auch wenn viele Darstellungen der Gesellschaft heute nicht mehr zeitgemäß sind, so bleibt diese Essenz immer noch spielenswert. Auch heute noch ist es die Freiheit, die den Mensch zum Menschen macht und die Achtung der Würde der Menschen untereinander.

Brian Völkner hat zwar mit seiner Inszenierung ein junges Publikum anvisiert und intendiert die kritische Hinterfragung der Aktualität der alten Klassiker. Allerdings ist ihm ein Werk gelungen, mit dem er über alle Altersgruppen hinweg diese Klassiker wieder interessant macht. Aus meiner Sicht haben sich die Fragen, die das Stück aufwirft, nicht geändert. Wir sollten weiterhin althergebrachte Strukturen hinterfragen, Ungerechtigkeiten nicht hinnehmen und für Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft kämpfen. Ein Stück, vielleicht für ein junges Publikum gedacht und gemacht, aber ganz sicher für alle Altersgruppen darüber ebenso geeignet. Und absolute Empfehlung: Nachbesprechung mit den Darstellern! Hingehen!


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